Das Rostocker Wertheim-Atelier

Abraham Wertheim betrieb ab 1875 in Stralsund einen Laden. 1876 stiegen die Söhne Hugo und Georg in das Geschäft mit Kurzwaren ein und vergrößerten das Sortiment.
Am 01. April 1884 wurde die Filiale A. Wertheim in Rostock, in der Kröpeliner Straße 28 eröffnet.

Ganzseitige Anzeige, Rostocker Anzeiger 30.03.1884
Ganzseitige Anzeige, Rostocker Anzeiger 30.03.1884

Ende der 1880er Jahre zog Wertheim in die Kröpeliner Straße 10. Dieses Geschäft führte Wertheim bis 1903.

Rechts im Bild das Wertheim-Geschäft. Reproduktion
Rechts im Bild das Wertheim-Geschäft. Reproduktion

Ende der 1890er Jahre eröffnete Wertheim in die Kröpeliner Straße 34 ein zweites Geschäft. Kurze Zeit darauf erwarb er auch die Nummern 33a und 35.
1902 wurden die Kröpeliner Str. 33a, 34 und 35 abgerissen und ein dreigeschossiger Neubau errichtet. Eröffnet wurde das neue Warenhaus am 15.10.1903.
wertheim-1903-buch1-KopieGlanzstück des Neubaus ist der Lichthof. Links der Durchgang zum Wintergarten, besser zu erkennen auf dem nächsten Bild.

Drei Rostocker Stadtansichten über den Durchgängen zum Wintergarten. Ansichtskarte, Ausschnitt, 1904 gelaufen. Globus-Verlag
Drei Rostocker Stadtansichten über den Türen zum Wintergarten. Ansichtskarte, Ausschnitt, 1904 gelaufen. Globus-Verlag

Die Aufnahme des Lichthofs ist „Album von Rostock“ entnommen, einem Bildband, der im hauseigenen Globus-Verlag ca. 1905 erschien.

Album von Rostock. Titelseite. Globus Verlag Berlin
Album von Rostock. Titelseite. Globus Verlag Berlin

Auch die folgende Außenansicht des Warenhauses ist dem genanntem Bildband entnommen.

wertheim-1903-buch-KopieJahrzehnte zuvor sah die Kröpeliner Straße an dieser Stelle noch ganz anders aus:

Ansicht von Süd-West. Das Traufenhaus in der Bildmitte ist die Nr. 33, das Giebelhaus dahinter die 34. Reproduktion
Ansicht von Süd-West. Das Traufenhaus in der Bildmitte ist die Nr. 33, das Giebelhaus dahinter die 34. Reproduktion
Kröpeliner Str. 33a-35, um 1897. Das Giebelhaus in der Bildmitte (Kröpeliner Str. 34) ist im Vergleich zum obigen Bild das einzig erhalten gebliebene Haus.
Kröpeliner Str. 33a-35, um 1897.  Reproduktion

Das Giebelhaus in der Bildmitte (Kröpeliner Str. 34) ist im Vergleich zum obigen Bild gut wiederzuerkennen, die Nr. 35 (rechts im Bild) ist stark überbaut, die Nr. 33a ein Neubau.

Kröpeliner Str. 33a, 34 und 35. Aufnahme um 1902. Reproduktion
Kröpeliner Str. 33a, 34 und 35. Aufnahme 1901/02. Reproduktion

Auf dem Grundstück der Nr. 33 waren mittlerweile zwei Häuser gebaut worden, die 33 und die 33a. Wertheim hatte Ende der 1890er Jahre die Nr. 34 gekauft, ließ den Giebel abschlagen und das Erdgeschoss umfassend umgestalten.
Auch in der Apostelstraße hatte Wertheim Häuser aufgekauft. Zuerst die Nummern 1-3.

Speicher Apostelstraße 3. Reproduktion
Speicher Apostelstraße 3. Reproduktion

Am 6. Juli 1902 vermeldete die Rostocker Zeitung: „Die an der Kröpelinerstraße belegenen Häuser Nr 33a, 34 und 35 werden augenblicklich sammt ihren an die Apostelstraße grenzenden Hintergebäuden niedergerissen, um einem in großstädtischen Dimensionen gehaltenen Neubau des Waarenhauses A. Wertheim Platz zu machen. Das Haus Nr. 33a wurde erst vor wenigen Jahren neu erbaut.“

In den ersten Bauplänen von 1902 sollten nur die Grundstücke Kröpeliner Str. 33a bis 35 und die Apostelstr. 1-3 bebaut werden.

Anfang 1903 kaufte Wertheim die Apostelstraße 4. Dieses Haus gehörte als sogenanntes Predigerwitwenhaus zu St. Jakobi. Dort wohnten, wie die Bezeichnung vermuten lässt, die Witwen von verstorbenen Pastoren von St. Jakobi. Der Verkauf an Wertheim wurde ohne Genehmigung des Oberbischofs vollzogen, was wohl innerkirchlich zu etwas Ungemach führte. Auch das Wohnhaus Apostelstraße 5 erwarb Wertheim 1903. Eventuell war das Grundstück noch einige Zeit unbebaut und diente als Lieferzufahrt.

Die Eröffnung des Neubaus wurde in doppelseitigen Anzeigen angekündigt.

Rostocker Anzeiger, 14.10.1903
Rostocker Anzeiger, 14.10.1903

Auch in den Wochen nach der Eröffnung erschienen große Annoncen.

Rostocker Anzeiger, 28.10.1903
Rostocker Anzeiger, 28.10.1903
Grundriss des Photographischen Ateliers
Grundriss des Photographischen Ateliers, nach Bauzeichnungen gefertigt

Im Dachgeschoss war das Photographische Atelier untergebracht. Es hatte einen ca. 20m² großen Warteraum, eine 10 m² große Umkleidezelle mit Blick in den Lichthof und ein fast 40 m² großes Atelier. Das Atelier verfügte über zwei sehr große und hohe Fenster zum Lichthof und über elektrisches Licht. Hinzu kamen Dunkelkammer, Copierraum (abseits gelegen, deshalb nicht eingezeichnet) und Retouchierraum, insgesamt ca. 150 m². Aus den erhaltenen Bauzeichnungen kann man den Eindruck gewinnen, dass das Atelier nicht von Anbeginn geplant war.

Dass die Ateliers in den Berliner Wertheim-Warenhäusern deutlich größer waren sei hier nur am Rande erwähnt.
Wieviel Personal das Atelier hatte und wer hinter der Kamera stand ist nahezu unbekannt. Lediglich von Else Gribnitz ist bekannt, dass sie von ca. 1905 bis 1912 als Fotografin im Atelier tätig war. Mehr dazu hier:

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Wertheim ging mit Kampfpreisen in den Markt. Das Dutzend Visitporträts kostete 1,80 Mark, das Dutzend Kabinettformat 4,90 Mark. Diese Preise galten auch in den Berliner Ateliers. In den Fachzeitschriften der Berufsfotografen wurde ausführlich über die Geschäftspraktiken der Warenhausateliers berichtet und diskutiert. Da es sich bei den Preisangaben um Grundpreise für die einfachste Ausführung handelte ist nicht auszuschließen, dass Bilder von Wertheim letztendlich nicht günstiger waren als die von anderen ortsansässigen Fotografen. Der Fotograf Sebastian Maass am Hopfenmarkt bot alsbald das Dutzend Visit für 1,90 Mark an.
Vor dem Hintergrund der neuen Konkurrenz ist wohl auch folgende Anzeige zu verstehen, denn zuvor und auch nicht danach taten sich sieben Rostocker Fotografen für eine gemeinsame Annonce zusammen.

Rostocker Anzeiger, 13.11.1903
Rostocker Anzeiger, 13.11.1903

Die Angst vor dem Wertheim-Atelier war nicht unbegründet, der Marktanteil in den 1900er und 1910er Jahren wird bei ca. 20 Prozent gelegen haben. Das Atelier sollte Kunden ins Warenhaus locken und es wurde für Belohnungen genutzt – bei entsprechenden Umsätzen, z.B. in der Konfektionsabteilung, durfte sich der Kunde gratis fotografieren lassen.

Bei Wertheim kauften Menschen aus nahezu allen Einkommensgruppen – die Tochter einer alleinstehenden Näherin, der Bankdirektor, die Opernsängerin – und sie ließen sich auch fotografieren.

Louise, Tochter eines Rostocker Bankdirektors. 1904. Visitformat
Louise, Tochter eines Rostocker Bankdirektors. 1904. Visitformat
Louise (ganz links) mit Freundinnen. Visitformat
Louise (ganz links) mit Freundinnen. Visitformat
Louise im Kostüm. Visitformat
Louise im Kostüm. Visitformat

Die Aufnahme ist überbelichtet. Der Lichteinfall war dermaßen stark, dass der Kopfschmuck der jungen Frau nur als helles Etwas wahrzunehmen ist. Rechts unten ragt eine Staffage ins Bild.
Auf der Rückseite ist immer (mehr oder weniger unleserlich) mit Bleistift die Auftragsnummer vermerkt, um bei der Bestellung weiterer Abzüge die Fotoplatte wiederzufinden.

Schmales Visitformat
Prinzess-Format
Ein Kaufmannssohn aus Tessin. 1904. Visitformat
Ein Kaufmannssohn aus Tessin. 1904. Visitformat
Aufnahme aus dem Mai 1905. Visitformat
Aufnahme aus dem Mai 1905. Visitformat

Die Hintergründe der Fotografien sind meist einfarbig, auf Möbel und Pflanzenkübel wird oft verzichtet.
Jeanne E. Rehnig (Das „Photographische Atelier“ im Warenhaus : Fotografie bei A. Wertheim und Wolf Wertheim. 1999) hat diese Nüchternheit als Wertheimsches Gestaltungsmerkmal für die Berliner Ateliers ausgemacht, das von anderen Warenhaus-Ateliers kopiert wurde. Von Experten wurde dieser Stil zu Beginn des 20. Jahrhunderts positiv hervorgehoben, weil so die fotografierte Person in den Mittelpunkt rückte. Ob dieser nüchterne Stil eventuell auch Teil der Kostenoptimierung für Fotografen und Kunden war, kann hier nur vermutet werden.
Hier ein Beispiel mit farbigem Hintergrund:

Visitformat
Visitformat

Bis 1905 ist auf den Untersetzkartons als Atelieradresse angegeben: Kröpeliner Str. 33/35 und Apostel Str. 1/5. wertheim-globus-frau-kostuem-cdv-r-Kopie

Diese Bezeichnung stimmt nicht ganz, da die Nr. 33 nicht zu Wertheim gehörte, sondern die 33a.
Bei allen Bildern dieser ersten Serie aus dem Rostocker Globus Atelier ist zu erkennen, dass immer die rechte Gesichts-/Körperhälfte belichtet wurde.
1905 gab es bei Wertheim bauliche Erweiterungen, denn 1906 gehören laut Adressbuch auch die Apostelstraße 6 und 7 zu Wertheim.
Zu dieser Zeit wurde die Gestaltung und Beschriftung der Untersetzkartons des Ateliers geändert. Die Adresse lautete nun Kröpeliner Straße 34/35 und Apostelstraße 1/7. Die Rückseite ist unbedruckt. Es finden sich nun auch Aufnahmen, bei denen die linke Gesichtshälfte belichtet ist.

Studentenporträt. Sommersemester 1906. Visitformat
Studentenporträt. Sommersemester 1906. Visitformat

Nachfolgend noch einige Beispiele aus der Zeit 1906/1907, alles Visitformate.
regolin-03-12-globus-wertheim-2-cdv-Kopiewertheim-globus-drei-frauen-cdv-Kopiewertheim-globus-frau-kniestueck-cdv-Kopiewertheim-globus-holldorf-mann-cdv-KopieAnsichtskarten von Rostock verlegte Wertheim schon vor 1900.

Gruss aus Rostock. Neuer Markt. Ansichtskarte. 1898 gelaufen.
Gruss aus Rostock. Neuer Markt. Ansichtskarte. 1898 gelaufen.

Links unten auf der Karte befindet sich das Wertheim-Logo, hier deutlich vergrößert:
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Gruss aus Rostock. Ansichtskarte, 1898 gelaufen. Links unten das Wertheim-Logo. Gedruckt von der KunstAnstalt Rosenblatt, Frankfurt /M.

Der Globus-Verlag gab nach 1900 auch Ansichtskarten heraus, z. B. die Motive aus dem bereits erwähnten Bildband „Album von Rostock“.

Partie am St. Georg-Platz. Kolorierte Ansichtskarte
Partie am St. Georg-Platz. Kolorierte Ansichtskarte

Die Buchabbildung zum Vergleich:
wertheim-st-georg-platz-ca1900-buch-Kopie

Und noch ein Motiv aus dem „Album von Rostock“ als Ansichtskarte:

Gruss aus Rostock. Bismarcksäule. Ansichtskarte. 1904 gelaufen.
Gruss aus Rostock. Bismarcksäule. Ansichtskarte. 1904 gelaufen. Globus-Verlag

Und die kolorierte Variante:

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Gruss aus Rostock. Bismarcksäule, im Hintergrund Türme der Stadt Rostock. Ansichtskarte. Globus-Verlag

Die Bismarcksäule wurde 1901 am Ostrand der Barnstorfer Anlagen aufgestellt. Rechts im Bild sind im Hintergrund die Kirchen der Innenstadt zu erkennen.

Ansichtskarte, 1905 gelaufen
Blick von Gehlsdorf auf die Stadt. Ansichtskarte, 1905 gelaufen

Die Postkarten von Wertheim sind an diesem Logo zu erkennen, das auf der Textseite angebracht war, auf obiger Karte links unten, bei anderen unten mittig oder auch unten rechts.
bismarcksaeule-wertheim-1904-ak-logo

Hopfenmarkt. Ansichtskarte. 1906 gelaufen.
Hopfenmarkt. Ansichtskarte. 1906 gelaufen.

Obige Ansichtskarte ist stark retuschiert, was eine Ursache darin haben kann, dass es eventuell eine (Raub-)Kopie war. Denn das Motiv gibt es auch ohne Retusche und früher gelaufen.

Ansichtskarte. Ohne Verlagsangabe. 1902 gelaufen
Ansichtskarte. Ohne Verlagsangabe. 1902 gelaufen

Hier noch zwei Ausschnitte, zuerst aus der retuschierten Karte:
wertheim-hopfenmarkt-1906-ak-Kopie-1
hopfenmarkt-1902-wertheim-motiv-ak-Kopie-kFortsetzung hier:

http://werner0304.alfahosting.org/wordpress/?page_id=2151

 

 

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