Von den späten 1920er bis Mitte der 1930er Jahre lebte Ursula Schmidt in Rostock und erlernte hier in den frühen 1930er Jahren den Beruf der Fachdrogistin. In dieser Zeit legte sie mehrere Fotoalben an. Bei den meisten darin enthaltenen Fotos kann davon ausgegangen werden, dass sie selbst die Urheberin ist.
Ursula Schmidt wurde 1913 in Hamburg geboren. 1928 zog die Familie nach Rostock. Der Vater Ernst Schmidt betrieb in der Lagerstraße einen Fahrradgroßhandel.
1931 beendete Ursula Schmidt ihre Schulzeit am Lyzeum in der Lloydstraße, dem heutigen Goethe-Gymnasium. Am 1. Oktober 1931 begann sie eine dreijährige Ausbildung zur Drogistin in der Greif-Apotheke und Drogerie am Doberaner Platz.
Der Königlich bayrische Hof-Apotheker Hermann Gartzen eröffnete 1893 die Apotheke und Drogerie „Zum Greif“ an der Ecke zur Stampfmüllerstraße. Heute befindet sich dort der Haupteingang zum „Doberaner Hof“. Gartzen produzierte auch Mineralwasser und verkaufte Wein.
In den folgenden Jahrzehnten gab es einige Besitzerwechsel. Nach dem 1. Weltkrieg übernahm Friedrich Stockmann die Drogerie. Nach dessen Tod 1925 führte seine Witwe Elisabeth Stockmann das Geschäft einige Jahre fort und verpachtete es dann an Ernst Jesse.
Verkauft wurden in den 1930er Jahren z.B. Parfüme wie Uralt-Lavendel, Kölnisch Wasser von 4711 und Farina und Fotobedarf von Kodak, Hauff Ihagee und Zeiss-Ikon. Die Kunden konnten ihre Rollfilme in der Drogerie entwickeln und Papierabzüge fertigen lassen.
Auch für Parfüm wurde im Schaufenster geworben:
Im obigen Bild spiegeln sich im Schaufenster die Häuser der Nordseite des Doberaner Platzes. Links ist über der Fensterfront des Erdgeschosses der Namenszug der Filiale der Weinbrennerei A.F. Lorenz zu erkennen.
Hier zur Einordnung eine andere Ansicht der Häuserfront:
Das Haus, in dem sich die Greif-Apotheke befand, wurde 1944 bei einem Bombenangriff zerstört. An ihrer Stelle wurde eine Baracke errichtet; ganz links im nächsten Bild zu sehen.
Die Greif-Apotheke zog an die Ecke Stampfmüllerstraße/ Friedhofsweg, wurde 1954 verstaatlicht und 1973 geschlossen.
Die Fotos, die Ursula Schmidt aus ihrer Rostocker Zeit hinterlassen hat, bilden ganz unterschiedliche Themen und Sichtweisen ab. Zum einen hat sie das alltägliche Umfeld fotografiert. Dann gibt es Bilder mit einem touristischen Blick: Steintor, Neuer Markt, Kröpeliner Tor etc. Fasziniert hat Ursula Schmidt wohl der Schiffbau, einige Bilder entstanden auf der Neptunwerft. Und natürlich sind angesichts des jugendlichen Alters der Fotografin Aufnahmen bei Strandaufenthalten und Bootsfahrten entstanden. Und es finden sich Belege dafür, wie begeistert die Rostockerinnen und Rostocker den neuen Machthabern folgten.
Ende der 1920er Jahre wohnte Familie Schmidt in der Augustenstraße 49. Irgendwo dort wurde das folgende Bild aufgenommen. Im Hintergrund gut zu erkennen sind die Jakobi- und die Klosterkirche.
Anfang der 1930er Jahre lebte Ursula mit ihren Eltern in der Göbenstraße 6, heute Klopstockstraße. Dort fotografierte sie aus dem Dachfenster. Im Hintergrund gut zu erkennen ist die St.Georg-Schule. Die Wohnhäuser im Vordergrund, die im rechten Winkel zueinander stehen, haben die Zeiten nicht überdauert. Die Häuser rechts gehörten zur Karlstraße, von dort biegt die St.-Georg-Straße ab.
Zur Einordnung noch eine Luftaufnahme. Da die Häuser auf dem Bild aus dem Jahr 1944 noch gut erhalten scheinen, mussten sie wohl erst um 1970 mit der Anlage des Südrings weichen.
Die nächste Aufnahme wurde aus einem Fenster oder von einem Hausdach aufgenommen:
Nun die eher touristischen Motive.
Durch den Torbogen der Stadtmauer sind zwei Wohnhäuser zu erkennen, die zur Slüterstraße gehörten und nicht (was wohl logischer wäre) zur Wendenstraße. Auf der Litfaßsäule wirbt oben die Rats- und Universitätsbuchdruckerei Adlers Erben dafür, Drucksachen für jeden Bedarf zu liefern. Darunter ist ein Soldat mit Stahlhelm hinter Stacheldraht zu erkennen. Das Plakat wirbt für eine Riesen-Relief-Ausstellung der Schlachten des Ersten Weltkrieges, u.a. bei Arras und in den Vogesen. Darunter ein Kinoplakat: In den Kammerlichtspielen „Sonne“ in der Steinstraße wird die Komödie „Kiki“ gezeigt. Die Hauptrolle in dem mäßig erfolgreichen Film spielte Mary Pickford. Außerdem lief in der „Sonne“ der Film „Heut´ nacht geht´s los“. Ganz unten auf der Säule behauptet das Elektricitätswerk Rostock: „der Wunsch jeder Hausfrau: … ein Elektro-Herd!“
Die Litfaßsäule wurde vermutlich um 1920 aufgestellt. Bis dahin befanden sich über Jahrzehnte beidseitig Anschlagwände an der Torfassade.
Die Fassade des Petritors ist auf beiden Abbildungen verputzt. 1936 wurde der Putz abgeschlagen. Und wohl damit das Tor besser zu Geltung kommt, wurde die Litfaßsäule um ca. 20 Meter nach Nordosten versetzt.
Nicht weit vom Blücherdenkmal stand Blüchers Geburtshaus.
Hotel Fürst Blücher, dahinter Blüchers Geburtshaus in der heutigen Rungestraße. Links ist ein Teil des Michaelisklosters zu erkennen.
Mit dem obigen Bild verlassen wir die eher touristischen Motive. Es folgen einige Aufnahmen, die Orte zeigen, an denen sich Ursula Schmidt (vermutlich) öfter aufhielt.
Im Haus rechts im Bild, Breite Straße 24, befand sich links im Erdgeschoss der Damen-Friseursalon von Paul Hansen und in der ersten Etage (?) die Papierhandlung und Buchdruckerei von Richard Beckmann. Das Haus in der Bildmitte beherbergte das bekannte Restaurant Wintergarten. Die Hausfassade sah einige Jahre zuvor noch ganz anders aus:
Der Blick geht durch die Steinstraße zum Neuen Markt, erkennbar davon sind einige Häuser auf der Nordseite des Platzes. Keines der Häuser auf der Westseite der Steinstraße und auf der Nordseite des Neuen Markts haben den 2. Weltkrieg überstanden. In dem Haus rechts im Bild befanden sich die Kammer-Lichtspiele „Sonne“. Über dem Eingang wird für den Film „An heiligen Wassern“ geworben, der 1932 mit Karin Hardt in der Hauptrolle in die Kinos kam.
Die Beschriftung obigen Bildes gab doch einige Rätsel auf. Auf dem Haus links im Bild, das ist die Wismarsche Straße 57, lässt sich der Namenszug des Schmiedemeisters Rudolf Meyn erkennen. Rechts daneben steht über den Fenstern des Erdgeschosses Werbung für das „Restaurant Weyer / Garagen“. Tatsächlich existierte das Restaurant nur bis ca. 1928. Seitdem wurde das Haus als Studentenwohnheim genutzt und vermutlich befand sich im Erdgeschoss eine Mensa.
Auch diese Straßenansicht ist heute kaum noch wiederzuerkennen, lediglich die sehr hohe Tür des Hauses links im Bild und das Haus mit dem Erker in der ersten und zweiten Etage sind auch 90 Jahre später noch zu identifizieren.
Die fotografische Reise führt weiter, ins Hansaviertel.
Interessant ist der freie Blick auf das moderne Gebäude im Hintergrund, die Strempelstraße 1. Im Erdgeschoss des Hauses wurde in der Zeit, als diese Aufnahme bestand, die Klause des Westens betrieben.
Folgt man der Maßmannstraße nach Norden – der Durchgangsverkehr am S-Bahnhof Parkstraße wurde in den 1930er Jahren noch mit Schranken geregelt – gelangt man zur Neptunwerft.
Wann die Ansicht der Werft entstand, ist nicht bekannt. Links oben ist im Bild eine runde Prägung zu erkennen. Auf dem Bild selbst lässt sich die Prägung jedoch nicht wahrnehmen. Das Bild ist eine Reproduktion. Ursula Schmidt hat das Originalbild, aufgenommen von Fritz Blohm, abfotografiert und somit die ursprüngliche Prägung bildlich reproduziert. In der großen Halle im Bildvordergrund befindet sich heute das Parkhaus des Neptun Einkauf Centers (so die offizielle Bezeichnung des Edeka-Aldi-Komplexes).
Die beiden Schiffe in der Bildmitte gehörten zur Rostocker Reederei Erich Ahrens, das rechte heißt „Ernst Brockelmann“.
Anfang der 1930er Jahre war Johann Tönjes Cordes Direktor der Neptunwerft. Mit seiner Familie wohnte er auf dem Werftgelände. Ursula Schmidt war mit einem Sohn des Werftdirektors gut befreundet.
Auf einigen Bildern des Konvoluts ist zu erkennen, dass auf dem Werftgelände ein Gasometer (oder zumindest ein Bauwerk, das so aussah) stand.
Die nächsten vier Aufnahmen entstanden 1932 oder Anfang 1933 und zeigen einen Aufmarsch auf dem Vögenteichplatz. Der konkrete Anlass ist nicht bekannt.
Im Oktober 1933 beschlossen im Ständehaus unter großer öffentlicher Teilnahme die Landtage der beiden mecklenburgischen Freistaaten die Wiedervereinigung Mecklenburg.
Zur Orientierung:
Die freie Zeit wurde im Sommer gern in Warnemünde verbracht.
Auch in den 1930er Jahren war man in Warnemünde nicht allein. Manchmal gab es sogar prominenten Besuch.
Nach erfolgreich absolvierter Ausbildung ging Ursula Schmidt kurze Zeit später nach Lübeck. Von 1937 bis 1940 arbeitete sie dort als Fotolaborantin bei Castelli. Wilhelm Castelli (1901-1984) war einer der bedeutendsten Fotografen Lübecks. Die Drogerie, die er von seinem gleichnamigen Vater 1927 übernommen hatte, wandelte er in ein Fotofachgeschäft um.
Für Späße blieb auch noch Zeit.
Ursula Schmidt fotografierte auch in Lübeck, z.B. diese Puppe:
Wilhelm Castellis Aufnahmen inspirierten sicherlich die fotografische Tätigkeit von Ursula Schmidt.
Und nun eine ähnliche Aufnahme von Ursula Schmidt.
Dazu wirken die Wolkenberge von Ursula Schmidt schon experimentell.
Die Vorliebe für Hafenmotive blieb auch in Lübeck bestehen.
Auch die Bilder in Ursula Schmidts Urlaubsalben sind von hoher Qualität:
Und noch drei Fotos vom Urlaub im Schwarzwald 1938:
1940 heiratete Ursula Schmidt in Wuppertal. Bis 1941 arbeitete sie dort als Leiterin einer Dunkelkammer. Mit der Familiengründung endete diese Tätigkeit. Bereits 1962 verstarb Ursula Wiese.
Mein Dank an Michael Wiese.